Ich sage «nein zur Organspende», weil

es aus Achtung vor dem Leben eines Menschen nicht legitim ist, die Organe aus seinem Leib zu entnehmen, der zu jenem Zeitpunkt noch immer ein Sterbender und kein Leichnam ist.

1. Das de facto falsifizierte Hirntod-Konzept bietet keine tragfähige Basis, um den Tod des Menschen zu bestimmen. Die Vorstellung von einem dissoziiert eintretenden Tod widerspricht den assoziierten Abläufen in der Kausalkette, die zum Erlöschen des Lebens führt (Todessequenz). Die Grenzen vom Leben zum Tod aber können nicht dissoziiert überschritten werden, weil der Mensch in der Gestalt eines verschränkten Organismus existiert, nicht dissoziiert als Summe von separierbaren Teilen aufgebaut ist, sondern organismisch integriert. Daher kann sich der Tod eines Menschen nicht beschränkt auf einen Teilbereich ereignen. Es kann keinen Stockwerkstod geben, demzufolge der Mensch als solcher bereits tot wäre, wenn nur seine proprietären Gehirnfunktionen erloschen sind. Dies würde auf einen Dualismus zwischen Gehirn und Restkörper hinauslaufen und den Reduktionismus «Der Mensch ist sein Gehirn» einschließen. Der Mensch aber ist nicht auf sein Gehirn zu reduzieren, sein Leben ist nicht mit dem Vorhandensein von Gehirnfunktionen gleichzusetzen.

Die Eigenschaft «tot» bezeichnet keinen graduell verwirklichten Zustand, so dass ein Mensch irgendwann «tot genug» für eine Organentnahme sein könnte, bevor die Lebensvollzüge nicht vollends erloschen sind, und dieser Leib nicht mehr «sein Leib» ist.

2. Mag der betreffende Mensch auch kein cortexvermitteltes empirisches Ich mehr besitzen, so ist dennoch keineswegs davon auszugehen, dass man ihm bei der Organentnahme keinen Schaden zufügen würde.

Es ist unklar, welche Innenerfahrungen für den Organspender mit der künstlichen Dissoziierung seines Todesübergangs, mit der Prozedur der Organentnahme und insbesondere mit der Perfusion verbunden sind. Die mit Beginn der Explantations-OP und bei der Perfusion gezeigten physiologischen Reaktionen stellen Symptome dar, wie sie normalerweise bei heftigsten Schmerzreizen auftreten. Die Phänomene wie der sehr starke Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck sowie die Ausschüttung von Hormonen wie in extremen Stress-Situationen müssen als Indizien ernst genommen werden.

Sowenig der Organismus in seiner integrativen Funktion gänzlich oder auch nur überwiegend vom Gehirn abhängt, sowenig erscheint es plausibel, den Leib des Organspenders als einen beeinträchtigungsunfähigen Leichnam ansehen zu können. Die erhaltene Funktionsfähigkeit des Zentralen Nervensystems sowie dezentraler Nervenzentren und der Organe legen eine andere Bewertung nahe. Die Reaktionen auf die Zufügungen lassen sich nicht auf die Ebene automatischer Reflexe reduzieren. Zufügung und Erleiden gelten mindestens in einem analogen Sinn. Wenn man also die wahrnehmbaren Phänomene ernst nimmt, stellen diese sehr wohl empirische Indizien dafür dar, die heftigen Reaktionen im Sinne eines zugefügten Schadens auszulegen. Die Evidenz dafür erscheint weitaus höher als für eine gegenteilige Annahme.

Unklar bleibt ebenso, welche Bedeutung die zugefügte künstliche Dissoziierung des Todesübergangs, die Prozedur der Organentnahme und insbesondere die Perfusion für die Nahtoderfahrungen des Organspenders haben, deren physiologische Basis nicht abschließend geklärt ist. Keineswegs sind Nahtoderfahrungen auf den Zustand vorhandener Hirnfunktionen einzugrenzen. Vielmehr entziehen sich diese Erfahrungen, zumal im fortgeschrittenen Stadium, jeglichem empirischem Zugriff.

Durch die Prozedur der Explantation, durch das Aufschneiden des Körpers und die übrigen präparativen Maßnahmen sowie insbesondere durch die Perfusion geschieht eine signifikante Zufügung (im negativsten Sinn) noch vor dem Zusammenbruch des Herz-Kreislauf-Systems und im Zustand weitgehender Funktionsfähigkeit des Zentralen Nervensystems, vieler dezentraler neuronaler Schaltstellen sowie funktionierender Organe. Es gibt also eine ernstzunehmende evidenzgestützte Basis für die Annahme, dass OP-Prozedur und Perfusion einen zugefügten Schaden für den Organspender bedeuten, dessen Ausmaß sogar erheblich sein kann.

3. Der Organismus eines Menschen stellt eine verschränkte, integrierte organische Einheit dar, welche von wesentlich anderer Qualität ist, als es im quantitativ-partitiven Modell Teil-Ganzes erfasst werden kann. Je höher die Integrationsebene, desto ausgeprägter ist das Maß der Verschränkung. Organe sind in einer derart umfassenden Weise mehr als nur äußerlich-funktional mit dem Organismus verschränkt, dass ihr Personbezug prägend bleibt. Transplantierte Organe werden lebenslänglich durch den Empfängerorganismus als Fremdkörper abgestoßen. Körperfremde natürliche Organe sind in einem Empfängerorganismus nicht integrierbar, weil Empfängerorganismus und Organe zueinander inkompatibel sind.

Ein Organ fremder Herkunft kann nicht wie ein mechanisches Ersatzteil in einen Zielorganismus eingesetzt werden, so dass dieses im Empfängerorganismus einfach seine Funktion ausüben könnte und dass es dabei von diesem Wirtsorganismus toleriert oder sogar integriert würde. Das Immunsystem richtet sich gegen das implantierte Organ und geht aktiv gegen dieses vor. Nur um den Preis der Unterdrückung des Immunsystems wird eine gewisse scheinbare Toleranz künstlich erzwungen. Die Immunreaktion unterstreicht auf anschauliche Weise, dass das Modell Teil-Ganzes nicht auf die Wirklichkeit eines lebendigen Organismus angewendet werden kann.

Der Ansatz, in einen Organismus aus einem anderen Organismus entnommene Organe als neue Teile einzusetzen, läuft der Disposition des Organismus wesentlich zuwider. Insofern stellt dieser mechanistische Ansatz einen Reduktionismus dar, der dem Wesen des Menschen auch auf der anthropologischen Ebene widerspricht. Der Leib ist Ausdruck der Person, die in ihm zur Darstellung kommt. Die Persongebundenheit innerhalb des Leibes ist um so ausgeprägter, je höher die Integrationsebene im Organismus ist. Organe stellen derart höhere Integrationsebenen dar und sind gemäß der Ordnung der Natur an sich nicht übertragbar.

4. Das abwägende Kalkül, durch die Maßnahme einer Organtransplantation den Nutzen eines Kranken zu mehren, ohne dem Organspender Schaden zuzufügen, geht nicht auf. Weder ist der Spender bereits tot, noch der Empfänger mit dem eingepflanzten Organ biologisch kompatibel. Der Vorgang einer vorgeblich postmortalen Transplantation läuft der Ordnung der Dinge zuwider. Dem Übel der Krankheit des Empfängers darf nicht durch eine Methode begegnet werden, die auf Spenderseite ein Übel einschließt.

5. Ohne den definitiven Tod des Spenders ist auch aus kirchlicher Sicht eine Organentnahme definitiv unzulässig, wie sowohl Johannes Paul II. als auch Benedikt XVI. klargestellt haben und wie es auch aus dem Tötungsverbot des Dekalogs hervorgeht. Bei fehlender definitiver Gewissheit müsse das Prinzip der Vorsicht vorherrschen. Ohne den definitiven Tod des Spenders sind Organentnahmen mit den Menschenrechten und mit dem Naturecht nicht zu vereinbaren.

Johannes Paul II. hat unzulässige Bedingungen bei der Organentnahme im Zusammenhang mit den Formen von Euthanasie benannt: «Sie könnten sich zum Beispiel dann ereignen, wenn man, um mehr Organe für Transplantationen zur Verfügung zu haben, die Entnahme dieser Organe vornimmt, ohne die objektiven und angemessenen Kriterien für die Feststellung des Todes des Spenders zu respektieren» (Enzyklika Evangelium vitae Nr. 64). Auch Benedikt XVI. hat in seiner Ansprache vom 7.11.2008 an die Teilnehmer am Internationalen Kongress der Päpstlichen Akademie für das Leben «Ein Geschenk für das Leben. Überlegungen zum Problem der Organspende» deutlich gemacht, dass die Achtung vor dem Leben des Spenders immer als primäres Kriterium gelten müsse, und dass eine Organentnahme nur unter der Bedingung des tatsächlichen Todes erlaubt sei. Bei fehlender sicherer Gewissheit müsse das Prinzip der Vorsicht vorherrschen. Nur unter diesen Bedingungen kann in der Organspende ein Akt der Nächstenliebe gesehen werden. Diese Stellungnahmen entsprechen dem Katechismus KKK 2296 und dem Kompendium 476.

Vor die Entscheidung gestellt, für oder gegen die Organentnahme zu votieren, sei es den eigenen Leib betreffend oder jenen eines Angehörigen, an dessen Stelle man notgedrungen die Entscheidung treffen muss, kann es nur einen Weg geben. Die Verantwortung für das anvertraute eigene oder fremde Geschick ist zu groß, als den Leib unter den Bedingungen der Explantationsprozedur Ärzten zum Ausschlachten zu überlassen.

In Verantwortung vor Gott, der Welt und den Menschen darf die Entscheidung der praktischen Vernunft nur lauten, «nein zur Organspende» zu sagen.

Schumacher, Thomas: Warum ich nein zur Organspende gesagt habe. Fakten • Motive • Argumente, München 2013

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